Während die Verwaltung der Stadt Köln die Errichtung einer neuen Gesamtschule bei auslaufender Hauptschule im Stadtteil Neubrück vorsieht, stellen sich vor allem CDU und Grüne dagegen. Ein kommunalpolitischer Vorgeschmack auf schwarz-grüne Landespolitik?
Die größte Stadt in NRW leistet sich seit Jahrzehnten einen notorischen Mangel an Gesamtschulplätzen. Anne Ratzki, ehemalige Schulleiterin der über Köln hinaus bekannt gewordenen Gesamtschule Holweide, hält der Stadt vor, dass sie nach den erfolgreichen Gesamtschulgründungen in den 1970er Jahren Jahrzehnte nichts getan hat, um der zunehmenden Nachfrage nach Gesamtschulplätzen im Stadtgebiet angemessen zu entsprechen. Zum Schuljahr 2022/23 fanden fast 1000 Kinder keinen Platz an einer der 15 Gesamtschulen im Stadtgebiet. Ca. 38% eines Jahrgangs wählen heute die Gesamtschule, nur für 24% bis 26% sind Plätze vorhanden. Dagegen wählen weniger als 5% der Eltern in Köln noch eine Hauptschule.
Angesichts dieser Notlage hat die Schulverwaltung in einem gut begründeten Beschlussvorschlag die Errichtung einer vierzügigen Gesamtschule mit vierzügiger Oberstufe am auslaufend gestellten Hauptschulstandort im Stadtteil Neubrück mit sofortigem Vollzug vorgesehen. Die Unterstützung von SPD und den Linken hat sie, während CDU und Grüne, unterstützt von Volt, dieses Vorhaben in einem Änderungsantrag in der Ratssitzung am 10.11. verhindern wollen.
Unverständlich, unrühmlich und empörend!
Der Stadtteil Neubrück gilt als einer der ärmsten in Köln und weist einen hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund auf. In einem Offenen Brief an den Rat hat der Bürgerverein Neubrück sich für die Errichtung der Gesamtschule ausgesprochen. Er hat darauf hingewiesen, dass sehr viele Eltern im Stadtteil für ihre Kinder die Gesamtschule anstreben, aber aufgrund der fehlenden Gesamtschulplätze Ablehnungen erhalten. Seit Jahren wird dort die Gründung einer Gesamtschule erwartet, um eben den Kindern in Wohnortnähe ein umfassendes Angebot für alle Schulabschlüsse bis zum Abitur zu machen. Im Hauptschulangebot sehen Eltern keine geeignete Alternative für ihre Kinder.
Dass Schwarz-Grün gegen die Gesamtschule im Schulausschuss gestimmt hat, hat bei vielen Eltern Empörung ausgelöst. Gerade für einen Stadtteil, der sozialräumlich gefördert werden soll, sei dies kein Ruhmesblatt, schreibt der Bürgerverein. Auch für die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule, GGG, ist diese Ablehnung völlig unverständlich und unannehmbar, weil alle schulfachlichen und bürgerschaftlichen Voraussetzungen für die Errichtung der Gesamtschule an dem Standort erfüllt sind und die Bezirksregierung Köln auch ein positives Votum abgegeben hat.
Realitätsverweigerung
In ihrem Änderungsantrag zum Beschlussvorschlag der Verwaltung plädieren CDU und Grüne für den Erhalt der Hauptschule. Sie berufen sich in ihrer Begründung auf die Stellungnahme des Kölner Schulamtes als untere Schulaufsicht und verschanzen sich inhaltlich dahinter, wenn sie schreiben: „Das Profil der Hauptschule erweise sich als ein Erfolgsmodell in Sachen Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit, insbesondere für Sprachförderung und Inklusion.“
Das ist pure Realitätsverweigerung seitens der Politik. Man kann vieles behaupten, aber sicherlich nicht, dass heutzutage die Hauptschule ein Garant für Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit ist. Wie die Verwaltung in ihrem Beschlussvorschlag deutlich macht, reichen die Anmeldungen zu der dreizügig genehmigten Hauptschule gerade einmal für die Einrichtung von zwei kleinen Eingangsklassen pro Jahr mit insgesamt 35 Schüler:innen. Dazu gehören dann auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die an anderen Schularten nicht unterkommen.
Wie bei allen Hauptschulen füllen sich auch hier die Reihen erst ab Klasse 7 mit den Schülerinnen und Schülern aus Gymnasien und Realschulen, die dort als „ungeeignet“ zu Hauptschulen abgeschoben werden. Sie als „Schulformwechsler:innen “ zu bezeichnen, ist pure Augenwischerei und zynisch, denn der Wechsel der Schule und damit der Schulform wird erzwungen und ist kein Akt der Freiwilligkeit.
Hinter dem Profil der Sprachförderung, das der Hauptschule angeheftet wird, wird die Tatsache verschleiert, dass Hauptschulen als „Restschulen“ auch für zugewanderte Schüler:innen benutzt werden. Kein Wunder, dass die so abgestempelten und stigmatisierten Kinder und Jugendlichen meist weniger Kompetenzen erwerben und seltener erfolgreiche Abschlüsse erreichen.
Gründe zum Fremdschämen
Gegen die Schließung der Hauptschule zugunsten der Gesamtschule spricht für CDU und Grüne auch die Befürchtung, dass die Kapazität für Schulformwechsler:innen ab Klasse 7 nicht reicht und mögliche Belastungen für verbleibende Hauptschulen entstehen könnten. Die Verwaltung kann rein rechnerisch und mit Verweis auf die Gesamtschule, die keine Abschulungen vorsieht, den Befürchtungen entgegenwirken. Aber sie kann den beschämenden Eindruck nicht beseitigen, dass die Politik von CDU und Grünen es normal findet, Schulen als „Auffangbecken“ für abgeschobene Kinder von Gymnasien und Realschulen vorzuhalten.
Diese Art der schulischen Vorratsbewirtschaftung, die hier gegen die Schließung der Hauptschule kalkuliert wird, ist kinderfeindlich, beschämend und das Gegenteil von inklusiver Schulentwicklung. Man rechnet die Exklusion von Kindern als „stinknormal“ mit ein und vermeidet die Auseinandersetzung mit der berechtigten Forderung, identitätsbeschädigende Abschulungen abzuschaffen.
Zerrbild Gesamtschule
Gegen die Gesamtschule ins Feld zu führen, dass sie ein Großsystem mit größeren Klassen darstellt und ihr deshalb zur Förderung benachteiligter Schüler:innen die Hauptschule vorzuziehen ist, verzerrt die Realität an Gesamtschulen. Insbesondere Kölner Schulpolitiker:innen müssten besser wissen, wie Gesamtschulen mit ihrer inneren Organisation kleine Einheiten bilden, pädagogische Beziehungen stärken und Zugehörigkeitsgefühl, Sicherheit und Verlässlichkeit bieten. Die Kölner Gesamtschule Holweide ist schließlich bundesweiter Vorreiter in der Bildung des erfolgreichen Team-Kleingruppen-Modells innerhalb des Großsystems Gesamtschule.
Machtpolitik versus Glaubwürdigkeit?
Während die Kölner CDU mit dem Festhalten an der Hauptschule ihrer bildungspolitischen Linie treu bleibt, verraten die Grünen ihr Programm und betrügen ihre Wählerschaft. Dass die Grünen in ihrem Kölner Wahlprogramm und in ihrem Landtagswahlprogramm versprochen haben, sich für den Ausbau der Gesamtschulen einzusetzen, spielt hier keine Rolle mehr und ist Schnee von gestern. Offensichtlich ist den Kölner Grünen das machtpolitische Interesse an dem Bündnis mit der CDU wichtiger als ihre eigene Glaubwürdigkeit.
Gilt dies auch für die Grünen in der Koalition mit der CDU auf Landesebene? Wer den Koalitionsvertrag auf Landesebene kritisch unter die Lupe nimmt, kann feststellen, dass auch dort hinter dem Beschwören des Schulkonsenses und dem Versprechen eines vielfältigen Schulsystems die dramatische Lage der Hauptschule als „Restschule“ verschleiert und mit ihr die Problematik der Abschulung ignoriert wird. Für die Gesamtschulentwicklung finden sich dort keine expliziten Aussagen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Es ist jetzt an den Grünen im Landtag, aus der Deckung zu kommen und zu erklären, wie sie es mit der Gesamtschule halten.
Brigitte Schumann (11/2022)